© Philipp Schäfer

Welcome to the Sea!

Anders als gedacht...

... wenn man eine Seereise tut beschäftigt man sich im  Voraus auch mit dieser. Oder man Interessiert sich auch vielleicht so für die Seefahrt und hat gewisse Vorstellungen. Oder man stellt sich einfach gar nix vor, nimmt es zur Kenntnis und ist danach sehr erstaunt.

Sicherlich könnte ich hier jetzt eine nahezu endlose Liste anführen, doch ich möchte mich auf die wesentliche Dinge beschränken, die ich am prägendsten in Erinnerung habe.

Als Gemeine Landratte (rattus littus) habe ich ehrlich gesagt keine grosse Ahnung von der Seefahrt.

Wie urplötzlich in mir das Interesse an der Containerschifffahrt aufkam, diese Frage kann ich nicht beantworten. Es war während meiner Studienzeit in einer Prüfungsphase. Das Haus wurde nur zum  Einkaufen und zu den Prüfungen selbst sowie zu Bibliothek-Besuchen oder zum gemeinsamen Lernen verlassen. So bekam ich immer wieder zwei treue Freunde bestehend aus "YouTube" und "Google". Nach gewisser Zeit gesellte sich "Marinetraffic" hinzu, eine Internetseite, auf welcher man die GPS-Positionen der im AIS angemeldeten  Schiffe verfolgen kann. So drehte ich immer meine abendlichen Runden durch Bremerhaven und Hamburg (der Jade-Weser-Port in Wilhelmshaven war damals noch nicht in Betrieb) und seltener Rotterdam.

Immer wieder tauchten Fragen auf, die ich mir dann in Google versuchte selbst zu beantworten.

So trug ich nach und nach mein Laienwissen zusammen und begab mich mit diesem dann Ende April 2017 auf die CMA CGM Alexander von Humboldt. Diese lag noch zwei Tage im "sicheren Hafen" ehe wir erstmals in See stachen.

Und hier sind sie nun: Dinge, die ich mir anders vorgestellt hätte...



1) Manpower und Automatisierung:

Die Digitalisierung macht natürlich auch vor der Seefahrt keinen Halt. Erste Gehversuche autonom fahrender Schiffe (oder eher Boote) werden derzeit ja schon unternommen. Bis ein 400m Gigant autonom unterwegs ist werden sicher noch einige Jahrzehnte vergehen, falls dies je überhaupt möglich ist. Schliesslich gibt es hierbei so viele Faktoren zu beachten, zumindest in Küstennähe.

Dass auf einem Schiff solcher Grössen keine 30 Mann/Frau unterwegs sind war mir bewusst. Die Zeiten wo über hundert Menschen an Bord eines Frachters leben sind lange vorbei.

Doch im  Hafen sieht dies noch anders aus. Je nach Ausrüstung des Terminals werden weniger (z. B. mit Automated Guided Vehicle anstelle mit Menschen besetzten Vancarriern/Portalhubwagen) oder mehr Menschen dort benötigt.
Doch eins hatten alle Terminals gemeinsam: Man benötigt viele Leute, die auf dem  Schiff arbeiten:

Einweiser, die dem  Brückenfahrer zur Hilfe stehen oder Lasher die die unteren überdeck gestapelten  Containern mit dem Containergerüst der Cellguides verbinden.


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Lasher beim Lashing.

Doch eins hätte ich nicht gedacht: Mir war bewusst, dass die überdeck gestapelten Containern mittels Twistlocks (Drehschlösser) miteinander verbunden sind und so die Sicherung der Container untereinander gewährleistet wird.

Was ich dagegen nie gedacht hätte, dass pro Containerbrücke zwei Menschen bei Wind und Wetter draussen stehen und diese noch von Hand unten an den Stahlboxen befestigen müssen. Ich war überzeugt gewesen, dass diese irgendwie vom Spreader (Containergreifer) irgendwie automatisch oben an die Container angebracht werden.


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Auf der rechten Seite stand sein Kollege: Anbringen der Twistlocks (Drehschlösser) zur automatischen Verriegelung der überdeck gestapelten Container auf der Lashingplattform der Containerbrücke.

Ebenso war ich der Meinung, dass man diese auch wieder automatisch mit dem Spreader öffnen kann und nicht Menschen in Käfigen, mit langen Stangen bewaffnet über dem Schiff hin und her gondelt...



2) Rennmaschine

Es ist kein grosses Geheimnis: Die Containerschifffahrt ist eine sehr harte Branche und durchlebt derzeit sehr, sehr schwierige Zeiten. Gerade die Weltwirtschaftskrise hat die Branche ins totale Chaos versetzt aus der die Reedereien nicht mehr ohne so weiteres herauskommen. Im Gegenteil: Der Umsatzeinbruch zwang diese zu radikalen Sparmassnahmen. Dazu gehört zum Beispiel der Trend, dass sich jede Reederei wohl in das Guinessbuch der Rekorde eintragen lässt was zur Folge hat, dass man in "Nordeuropa" gefühlte alle zwei Wochen das neue "grösste Containerschiff der Welt" mit Trompeten und Posaunen begrüssen darf, dass es schon fast Routine ist. 16.000, 18.000, 19.000, 20.000 jetzt 21.000 TEU und bald kommen schon die ersten 22.000. Geordert wird weiterhin wie Bekloppt obwohl es derzeit schon gigantische Überkapazitäten gibt.

Ein weiteres Sparpotential zur Reduktion der Kosten ist natürlich das senken des Energieverbrauchs. Das geht am besten durch das Verringern der Fahrtgeschwindigkeit. Slow-Streaming nennt sich der Spass. Von dieser Geschichte hatte ich gelesen. Früher waren die bunten Kistenschiffe mit bis zu 26 Knoten (ca. 50km/h) auf den Weltmeeren unterwegs. Das ist jetzt nicht mehr so.

Darunter verstand ich eine massive Reduktion der Geschwindigkeit, sagen wir auf ca. 15 Knoten/30 km/h. Fehlanzeige. Unsere Anzeige zeigte meist knapp über 20 Knoten an, die wir auch toujours hielten (mit Ausnahme in Küstennähe). Es sind nur ca. 5 Knoten/20 % weniger, was aber angeblich den  Triebstoffverbrauch nahezu fast halbiert. Und so war ich auch etwas überrascht, dass wir nach nicht einmal 24 Stunden  Fahrt schon in Rotterdam waren.


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Das Kielwasser im Ärmelkanal


3) Die Seefahrerromantik

Dass dieses Kapitel im 21. Jahrhundert begraben ist war alles andere als verwunderlich. An so etwas hatte ich nicht annähernd gedacht. Hektik und Stress begleiten die Arbeitsumgebungen des modernen Menschen. Und das rund um die Uhr.

Stimmt leider nicht ganz. Ich kann hier zwar nur vom "nautischen Bereich" berichten: Aber auf hoher See war für viele Langeweile angesagt. Man war auf der Brücke, brachte seine vier Stunden-Schicht hinter sich, wenn man Glück hatte war immerhin einmal eine Kursänderung drin und sonst passierte nichts. Man schaute gelangweilt mit dem Fernglas umher und starrte in die endlose Weite der Weltmeere. Auch erfahrende Seeleute erfreuten sich teilweise dennoch, sah man in die Ferne den feuchten Atem eines Wales in die Luft steigen.

Im Hafen sah das anders aus, hier gab's aller Hand voll zu tun: Entladung, Beladung, Bunkern von Treibstoffen, Lebensmittel, Proviant und Material sowie die Entsorgung von Altstoffen und Abfällen. Für all das gibt es auf dem offenen  Meer keine Möglichkeit.

Doch zwei Stunden nachdem man den Hafen erreicht hatte, kehrte gefühlt eine Ruhe ein. Die Crew zog sich etwas zurück und erledigte peu à peu ihre Arbeiten. Das ständige Containergewusel wie in einem frisch aufgewühlten Ameisenhaufen gehört einfach dazu und man nahm es nach einer kurzen  Anlaufphase nicht mal mehr zur Kenntnis.

Es war aber ein seltsames Gefühl, als die letzten Blechkisten an Bord gingen. Kurz bevor die letzte Containerbrücke in Ruhestellung war ging gefühlt die richtige Hektik erst los. Während der Container-Ameisenhaufen zur Ruhe kam, wurde es auf dem  Schiff emsiger, gerade mit dem bunkern von Proviant. Alles wurde gefühlt in den letzten Minuten erledigt, so dass man das Gefühl bekam, man kann nur das mitnehmen wofür die Zeit noch reichte. Darum war für mich die gefühlte hektischste Zeit die zwei Stunden bis die Leinen zu Wasser gingen.


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Die Lashing-Gear-Boxes gingen immer zuletzt an Bord. Danach war die Verladearbeit erledigt.



4) Die Vorstellung von Seekühen

Auf See ist man einsam aber nicht alleine. Auch wenn man teilweise kein einziges Schiff sieht, man hört sie... und zwar im berühmten "Channel 16": Im Seefunk besteht die Abhörpflicht, diesen Kanal eingestellt zu lassen. Es tut sich tagsüber meist nichts. Nur selten vereinbaren zwei Schiffe einen anderen Kanal, um bilateral miteinander zu reden (auch wir hatten einmal mit einem kleinen Tanker zwecks "Kollisionskurs" Kontakt aufnehmen müssen). Mehr bekommt man am Tage hier nicht mit. Erst in der Nacht hört man ab und an eine verzerrte, kratzige Männer- oder Frauenstimme. Meist sind es Tests. "Test, one, two, three, four". Doch eines Nachts gab es hier das muhen einer Kuh und das im Gegensatz zu den bisherigen menschlichen Stimmen sehr, sehr deutlich.
Seekühe hatte ich mir ernsthaft anders vorgestellt. Während es mich amüsierte blieb die Crew gelassen und ignorierte dies. Scheinbar scheint so etwas öfter vor zu kommen.



5) Endlose und Weite

Gehen wir zurück in meine Studienzeit: War der Drang nach Ablenkung besonders gross, schaute ich mir die Schifffahrtsroute von Hamburg bis zum  Suezkanal genauer an. Wie auf einer Autobahn einer Metropole schienen die Schiffe mehrspurig und überwiegend in der Richtung getrennt hintereinander her zu fahren. Eines nach dem anderen. Da ich Interessehalber damals schon nur Frachtschiffe, Tankschiffe und Schlepper eingestellt hatte, heisst dies, dass in der Realität also viel mehr Schiffe unterwegs sind: Fischerboote, Fähren, Kreuzfahrtschiffe, Militär, Yachten und so weiter.
Doch als wir dann das offene Meer erreicht hatten war ich erstaunt. Selbst im vielbefahrenen Ärmelkanal war es möglich, dass man über Stunden nicht ein einziges anderes Schiff am Horizont erblicken konnte.


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Einsam und allein: Kein anderes Schiff weit und breit in der Biskaya.

Auf den Karten im Internet sieht alles so dicht befahren aus, in der Realität ist man aber nahezu verlassen auf dem Meer. Erst als man sich einem Hafen näherte stieg die Anzahl der gesehenen Schiffe erheblich.

Die Ausnahme war das Mittelmeer, hier war man eigentlich nie allein.



6) Titanic

Fast jeder hat ihn gesehen, den herzergreifenden  "Schnulzfilm" Titanic. Und hier gab es die berühmte Szene wo zwei Menschen an der Spitze des Bugs stehen und sich in den  Wind legen.
Das hatte ich zwar nicht direkt vor (zumal ich keine Begleitung dabei hatte und ich mich nicht getraute direkt an die Spitze zu stehen, da hier eine gigantische Klüse (=Loch) war, wo die dicke Leine der Hafenschlepper durch geht... fällt man hier nach unten fällt man erstmal tief und wird dann zur Belohnung von einem knapp 400m langen Containerschiff überfahren. Es gibt schönere Vorstellungen).
Dennoch hatte dieser Ort für mich eine grosse Bedeutung (diese Erwartung wurde bestätigt): Man hatte weitgehendst Ruhe und die grösste Chance, Delfine zu sichten (welche man als "rattus littus" ebenfalls nur aus dem  Internet/TV/Bücher kennt).

Und her ist sie nun, die grösste Verwunderung die ich auf der Seereise erfahren durfte:


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Geräuschlos dem Sonnenuntergang entgegen.

Ich hatte wirklich mit viel gerechnet, aber sicher nicht damit, dass es da vorne totenstill war: Es ging kein Wind, man hörte kein Wind, man hörte kein  Wasser obwohl knapp 20m unter mir das Meer auf 55m Breite "geteilt" wurde und das mit knapp 40 km/h. Hier war ich erstmals sprachlos (was natürlich weiterhin zur Ruhe beitrug).

Erst als sich die Anzahl klimatisierter Container am Bug erhöhten und gegen später (Tage später) eine Art Belüftungssystem dort zu laufen begann war die absolute Ruhe dann auch vorbei.

Nur wenn man in diesem Bereich an einer Klüse vorbeilief war kurz ein  Wind zu spüren und manchmal auch hörbar.

Aber all in all: Für mich war dies bisher der magischste Ort, den ich je besucht hatte. Ich war schon oft entfernt von menschlicher Zivilisation, aber eine komplette Geräuschlosigkeit hatte ich noch nie erlebt.

Zugegebenermassen, war diese fast schon wieder unangenehm.


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... und natürlich gab es noch viele andere Dinge, die ich anders erwartet hätte.








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